Das Problem mit der Sprache.

 

Wenn man jemanden etwas mitteilen will, will man das unmissverständlich tun. Das bedeutet, dass der Leser (oder Zuhörer) meiner Mitteilung das gleiche liest (oder hört), als ich gemeint habe. So erschien vor einigen Jahren ein Artikel in der Zeitung in London, der von einem, der diesen Text nur hört, leicht missverstanden werden kann. Die Mitteilung lautete: ‘Wissenschaftler haben in den Wäldern der Demokratischen Republik Congo eine neue Affenart entdeckt. Das Tier wird von örtlichen Jägern ‘Lesula’ genannt so teilt die BBC mit. Die Wissenschaftler kamen zum ersten Mal in Kontakt mit dem ‘Lesula’, als sie ein junges Weibchen vorfanden, dass die Leiterin der örtlichen Grundschule in einem Käfig  gefangen hielt.’

 

Manchmal bringt ein Satz uns zum Schmunzeln (‘Ich konnte bei der Flugbegleiterin nicht landen’) oder birgt einen Gegensatz in sich (‘Damit wir was erreichen, müssen wir etwas unternehmen. ’ sagte der Gewerkschaftsleiter und kündigte einen Generalstreik an.)

 

In der 6. Strophe seines 35-strofiges Liebesgedichtes, das Clemens Brentano (1778-1842) an seine Altersliebe, die aus Basel stammende Münchner Malerin Emilie Linder (1797-1867), die er im Oktober 1833 kennengelernt hat, schrieb, standen fast nur Gegensätze, sgn ‘Contradictii in Termini (dieses Wort ist die Mehrzahl von ‘Contradictio in Terminus’). Die Strophe lautete:

 

‘In beredsam tiefes Schweigen,

 

ein Versteck, der offen liegt,

 

Ganz ergossen, sich nur eigen,

 

Ein Ergeben, nie besiegt, ’

 

Solche Gegensätze nennt man auch wohl ein Oxymoron. Damit erringt man mehr Aufmerksamkeit, so glauben Dichter. Ob die Dame nach dem Lesen von 35 Strophen noch unter den Lebenden weilte, hat man nie herausgefunden. Sicher ist, dass viele das Motto ‘Viva la Muerte (Es lebe der Tod)’ der Spanischen Legion (also der ehemaligen spanischen Fremdenlegion) nicht überlebt haben, obwohl Spanier ja auch das Motto ‘Eile mit Weile’ zelebrieren.

 

Auch Georg Orwell benutze in seinem Werk ‘1984’ Oxymora (Plural von Oxymoron). Er schrieb: ’ Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke. ’

 

Wenn die Mitteilung eine widersprüchliche Aussage enthält nenn man das auch wohl ein Paradoxon, wie z.B. ‘Das Leben ist der Tod, der Tod ist das Leben’.

 

Eine Form des Oxymorons benutzen wir im Alltag gerne: die ‘contradictio in adiecto’. So ist es ein offenes Geheimnis, dass eingefleischte Vegetarier beim Essen von Produkten von lebenden Tieren ein absichtliches Vergehen nur dann begehen, wenn sie ‘Lakto-Vegetarier’ und keine ‘Ovo-Lakto-Vegetarier’ sind. Dieser Satz enthält zwei Beispiele dieses Stilforms. Wir benutzen dann immer ein Substantiv mit einem Adjektiv, das dem Substantiv entgegengesetzt ist, wie z.B.: lautes Schweigen, ein stummer Schrei, die kalte Sonne, flüssiges Eis, hartes Wasser. Manchmal sind die gegensätzlichen Begriffe zu einem Wort zusammengefügt: die Ausnahmeregelung, das Hallenfreibad z.B. oder der Bürgeradel. Manchmal sind die Beispiele ganz schön versteckt. Daher ende ich mit zwei poetischen Beispielen. Ein Beispiel erkennt ihr alle, das zweite kennt wahrscheinlich keiner und daher habe ich ein wenig literarisch Geschichtliches hinzugefügt.

 

‘Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,

 

dass ich so traurig bin,

 

ein Märchen aus alten Zeiten,

 

das kommt mir nicht aus dem Sinn.

 

Die Luft ist kühl und es dunkelt,

 

Und ruhig fliesst der Rhein.

 

Der Gipfel des Berges funkelt,

 

im Abendsonnenschein.’

 

(aus: ‘Die Lorelei’ von Heinrich Heine.)

 

Das zweite Gedicht ist von Karoline von Günderrode ((1780-1806), von der ich nie gehört hatte. Vielleicht weil sie nur 26 Jahre alt wurde. Oder weil ich Gedichte meistens nicht aus Spass lese.

 

                            Liebe.

 

O reiche Armuth! Gebend, seliges Empfangen!
In Zagheit Mut! in Freiheit doch gefangen.
In Stummheit Sprache,
Schüchtern bei Tage,
Siegend mit zaghaftem Bangen.

 

Lebendiger Tod, im Einen sel’ges Leben
Schwelgend in Noth, im Widerstand ergeben,
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten
Leben im Traum und doppelt Leben.

 

Ihr Leben war an sich eine Contradictio. Mit siebzehn wurde Karoline als „Stiftsfräulein“ des evangelischen Cronstetten-Hynspergischen Adeligen Damenstift in Frankfurt am Main angenommen. Das Stift sicherte mittellosen weiblichen Angehörigen der Alten-Limpurger Familien den materiellen Lebensunterhalt. Die Stiftsdamen waren zu einem „sittsamen Lebenswandel“ angehalten. Karoline schrieb aber Zeit ihres Lebens unzählige Liebesgedichte. Sie lernte mit etwa 24 den bedeutenden Philologen und Mythenforscher Friedrich Creuzer (1771–1853), in dem sie sich unsagbar verleibte. Und obwohl er mit einer 13 Jahre ältere Frau verheiratet war, versprachen sie einander sich bis in den Tod zu lieben. Es war sogar die Rede von einer ‘Menage a Trois’, da, wie er meinte, seine Frau ‘sich nicht zur Ehe eignete. ’ Aber eigentlich hatte er nicht den Mut, sich von seiner Frau zu trennen. Als er dann im Jahre 1806 schwer erkrankte und seine Frau ihn gesund pflegte, schwor er seiner Frau seine Geliebte zu verlassen und dies liess er ihr von einem Dritten am 18. Juli 1806 übermittelt. Am 26. fand man Karolines Leiche im Wasser. Sie hatte sich selbst das Leben genommen am Flussufer in Winkel (Rheingau) mit einem Dolch. „Eine tiefe Wunde, nicht ganz ein Zoll lang; der Stich zwischen 4. und 5. Rippe in die linke Herzkammer eingedrungen“, vermerkt das ärztliche Protokoll. Bestattet wurde sie auf dem Friedhof der Winkeler Pfarrkirche St. Walburga.

 

Friedrich Creuzer tat alles, damit Karolines postumes Werk Melete nicht publiziert wurde. Er kam als Eusebio in dem Buch vor und wünschte nicht erkannt zu werden: „Die Unterdrückung dieser Schrift ist durchaus nötig.“ Erst hundert Jahre nach dem Tod der Dichterin konnte Melete veröffentlicht werden. Man hätte das Buch auch ‘Der Feigling und die Heldin’ nennen können. Kontradiktiv (oder kontraditional?) bis in den Tod, obwohl das Wort so nicht im Duden steht.

 

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