Die Sache mit der Komplexizität in der Kommunikation.

 

Warum Komplexität  benutzen, wenn Komplexizität auch kann. Ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung von Patienten ist die Kommunikation, die mehr beinhaltet als bloss einfach miteinander reden. Ohne Kommunikation mit dem Patienten bekommt man keine Information über die Probleme des Betreffenden, die (möglichen) Ursachen oder die Effekte der Behandlung. So kam ich eines Montags bei der Frau Dörfler, eine neue Patientin. Sie hatte eine Fussfraktur erlitten nach einem Sturz und ich musste die Beweglichkeit wiederherstellen. Keine einfache Sache bei einer 89-Jährigen.

 

An diesem besagten Montag ging ich also zu ihr ins Zimmer. Sie lag, wie zu erwarten, im Bett. Ich habe mich vorgestellt und gesagt weshalb ich da bin. Sie hat auf Schwyzerdütsch gefragt wer ich sei und was ich da im Zimmer soll. Ich habe mich also nochmal vorgestellt und gesagt weshalb ich da bin. Sie hat nochmals auf  Schwyzerdütsch gefragt wer ich sei und was ich da im Zimmer soll. Spätestens dann habe ich angefangen zu befürchten, dass der Fussbruch nicht das einzige Problem der Frau Dörfler sein könnte.. Ihre Hörfähigkeit war auf einer VAS-Skala von 0-10 näher an die 0 als an die 2. Trotzdem haben wir uns gut verstanden, im übertragenen Sinne dann. Als ich nach 30 Minuten das Zimmer verliess hat sie mich noch "Danke fürs kommen" nachgerufen. Wenigstens war es nicht: "Danke fürs Gehen". In den darauffolgenden 5 Montage war dann die Kommunikation zwischen uns rein nonverbal. Frau Dörfler hatte nämlich einen CVI(A) erlitten. CVI(A) steht für "Cerebrovasculäres Inzident (oder: Akzident)" und bedeutet, dass ein Blutgefäss im Gehirn kaputgegangen ist und ein Teil vom Gehirn nicht mehr mit Blut versorgt wird. In der Umgangssprache nennt man das auch Gehirnschlag oder  Streif, in der Schweiz liebevoll verniedlicht zu Schlägli. Als wäre es dann weniger schlimm. So wie etwa die Steuerhinterziehung durch die Briefkästlifirmen  im Ländli (Liechtenstein) weniger schlimm scheint als in den Grossbanken in Zürich. Aber in beiden Fällen ist das Problem riesengross. Bei Frau Dörfler hatte es zur Folge, dass sie nur apathisch da lag und auf meine Behandlungsgriffe, Zurufe, Begrüssungen, Fragen oder sonstige Kommunikationsversuche nicht mal mit den Augen, vor allem das linke, reagierte. Dann kam Freitag, der 13. Juli. Frau Dörfler war nicht im Zimmer. Das kann Schlimmes, aber auch Gutes bedeuten. In diesem Fall war es so, dass die Kinder sie mit dem Rollstuhl nach unten in die Cafeteria gebracht hatten um mit ihr zusammen ihren 90. Geburtstag zu feiern. Also etwas sehr Gutes.

 

Am 20. Juli war sie dann wieder im Zimmer als ich kam. Ihre Augen waren geöffnet. Zumindest das linke ganz und das rechte so halb. Sie sah mich an, kurz, und griff dann mit der rechten Hand nach ihre Handtasche, die sie immer bei sich trägt und umklammerte diese. Hon(n)i soit, qui mal y pense (1344 König Eduard III von England, als er seiner Geliebten auf einem Ball das heruntergerutschte Strumpfband hochzog (oder über sein Bein stülpte. darüber streiten sich die Historiker noch)), wie es auf dem berühmten Strumpfband von dem gleichnamigen  Orden lautet. Die  Reaktion der Frau Dörfler war zwar eine, die auf Misstrauen basiert sein könnte, aber immerhin eine Reaktion.

 

Im weiteren Verlauf dieser Therapiesitzung schweiften ihre Augen immer wieder ab. Ab und zu warf sie mir einen Blick zu um  dann wieder ihre Aufmerksamkeit auf  ihre Handtasche zu richten. Als ich dann aber  ihr linkes Bein bewegte, bewegte(n) sich ihr(e) Auge(n) ruckartig in meine Richtung und sie sagte mit klarer Stimme, laut und deutlich verständlich: "Tut weh!" Hurra, sie hatte wieder gesprochen und zwar adäquat und der Situation durchaus gemäss so muss ich  gestehen. 

 

So wenig wie Frau Dörfler redet oder hoffentlich redete, so viel redet eine neurologische Patientin, die ich in einem anderen AZ behandele. Sie hält das, was sie denk, nicht hinter dem Berg, wie man so schön sagt. Als wir einmal unsere wöchentliche Sitzung am Motomed, ein Trainingsgerät mit dem man sowohl mit den Füssen als auch mit den Armen pedalieren kann, machen wollten, war dieses Gerät schon besetzt. Nach etwa 5 Minuten warten kam dann eine Pflegerin um den Patienten am Motomed mitzunehmen. Meine Patientin fragte, ob man die Handgriffe nicht desinfizieren wollte, wie es üblich ist nach einer schweisstreibenden Sitzung. "Das machen wir immer abends", sagte die Pflegerin und wollte mit ihrem Patienten von dannen ziehen. Meine Patientin genügte diese Antwort nicht und sagte: "Ich meinte, man mache das direkt nach dem Gebrauch aus hygienischen Gründen. Wegen den  nachfolgenden Benutzer, aber da habe ich mich wohl geirrt." Die Pflegerin hatte begriffen. Sie beeilte sich, ein Desinfektionsmittel zu holen und die Griffe abzuwischen. Die Kommunikation hatte diesmal geklappt. Sei es erst in zweiter Instanz.

 

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