Physiotherapie immer teurer?

 

Ich höre immer wieder, dass Physiotherapie immer teurer wird. Ist das nur so ein Gerede oder  kann man es mit Fakten belegen.

SRF hat am 16.8.2017 die Kostenentwicklung der Physiotherapie 2011 – 2016 in den Fokus gestellt. Dabei fiel mal wieder auf, wie schön man die Fakten so präsentieren kann, dass diese sich, je nach Wunsch, negativ oder positiv lesen lassen. Physioswiss hat den Beitrag von SRF mal kritisch studiert. Dabei zeigte sich, dass der Anteil an physiotherapeutischen Leistungen vom Jahre 1996 bist 2014 gestiegen sind von1,3% auf 1,4%. Eine Steigerung von gerade mal 0,1%. SRF sagte zudem die Kosten der Physiotherapie hätten sich in den Jahren 2011 bis 2015 dramatisch gesteigert. Hier kommt das populistische Prinzip zur Geltung, dass  man zwar die Fakten, die einem in den Kram kommen, nennt, nicht aber die Ursachen. Fakt ist, dass die totale Kosten gestiegen sind. Verschwiegen wurde, dass im Jahre 2014,  die Physiotherapietarife, die schon 16 Jahre gleich waren, endlich angepasst wurden. Daher die Kostensteigerung. Es wurde nicht (!) mehr physiotherapeutische Behandlungen deklariert. Sie wurden lediglich besser bezahlt. Niemand in der ganzen Schweiz würde akzeptieren, dass es 16 Jahre lang keine Lohnanpassungen gibt. Die Physiotherapeuten mussten das schlucken, weil die Lobby der Krankenkassen eine Tarifanpassung blockierten. Als wären deren Prämien in diesen Jahren gleich geblieben. Keine Chance. Die stiegen zwischen 1996 und 2014 um 126% (Quelle: Bundesamt für Gesundheit). Physiotherapietarife  um 0%. Ich empfehle Ihnen, die  hier unten aufgeführte Reaktion vom Schweizer Physioverband zu lesen.

 (Cor Madou)

 

Kostenentwicklung der Physiotherapie im Vergleich (Standpunkt der Physioswiss)

Die Kostenentwicklung in der Physiotherapie liegt im generellen Trend der Entwicklung aller ambulanten KVG-Leistungen und dürfte neben spezifischen Gründen im Wesentlichen auch an der allgemeinen demographischen und medizinischen Entwicklung sowie der Bevölkerungszunahme (7.87 Mio. im 2010 um + 460'000 auf 8.33 Mio. im 2015) liegen. Die Kostenentwicklung für Physiotherapie liegt absolut im Rahmen (siehe Grafik unten). Ausgenommen der Jahre 2014 und 2015, in denen die Tarifanpassung und Zunahme der Verordnungen um 34% (2011 – 2015) einen grossen Einfluss auf die sprunghafte Erhöhung der Physiotherapiekosten hatten zusätzlich zur allgemeinen Entwicklung der ambulanten Leistungen nach KVG.

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Quelle der verwendeten Daten: "T 14.05.01.02", Bundesamt für Statistik, Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens (revidiertes Modell 2017 mit Datenstand 2015)

 

Weiter ist der Tabelle des BFS «je-d-14.05.01.03» der prozentuale Anteil der Kosten des Gesundheitswesens nach Leistungen zu entnehmen. Der Anteil der Physiotherapie an den Gesamtkosten lag im Einführungsjahr des KVG, also 1996, bei 1,3% und für 2014 werden 1,4% ausgewiesen.

Tatsache ist, dass die Physiotherapie nur, wenn sie auf ärztliche Anordnung erfolgt, nach KVG abgerechnet werden darf. Die Krankenversicherer bezahlen ausschliesslich diese Leistungen, die somit die WZW-Regel (wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich) einhalten. Es sind denn auch nur diese Leistungen, die die Statistik der Kostenentwicklung ausweist.

Die Physiotherapiekosten steigen, zu Recht, weil dahinter medizinisch erforderliche Leistungen auf ärztliche Anordnung hin stehen. Nachweislich liegen die Physiotherapiekosten grundsätzlich innerhalb oder sogar unterhalb des Rahmens der allgemeinen Kostenentwicklung. Dies zeigt auch der stabile Anteil der Physiotherapie an den Gesamtkosten!

SwissDRG – mehr ambulante Physiotherapie

In die betreffende Zeitperiode (2011-2016) fiel auch die Umsetzung von SwissDRG (Fallpauschalen zur Abgeltung von stationären Akutspital-Leistungen). Dies – gemeinsam mit der rasanten Entwicklung in der Medizin – hat zur Folge, dass die Akutspitäler alles daransetzen müssen, die Aufenthaltsdauer zu senken und immer mehr Leistungen ambulant zu erbringen. Alle in der Rehabilitation tätigen Leistungserbringer können bestätigen, dass damit die Komplexität und Pflege- sowie Therapiebedürftigkeit von Patienten, die aus Akutspitälern zugewiesen werden, massiv gestiegen sind. Die Rehabilitation ist umfassender und aufwändiger geworden, muss jedoch dennoch, innerhalb der gleich langen Aufenthaltsdauer sichergestellt werden. Die ambulante Rehabilitation hat aus diesem Grund stark zugenommen und ersetzen zusehends die ansonsten erforderliche stationäre Rehabilitation. Dies schlägt sich in einer Zunahme an erforderlicher Therapie nieder. Der Bundesrat selbst hat den Nachweis für diese sprunghafte Zunahme an erforderlicher Physiotherapie folgendermassen kommuniziert: Die ärztlichen Anordnungen von Physiotherapie nahmen im 2011 – 2015 sprunghaft um 34% zu (Nachzulesen im Bericht des Bundesrates zur Vernehmlassung der  Physiotherapie-Tarifstruktur per 1.1.2018.,  auf Seite 16: «Auch wenn die Zunahme der Anzahl Rechnungen (+34% in betrachteten Zeitraum) vermuten lässt, dass es eine starke Zunahme der ärztlichen Verschreibungen für die Physiotherapie und somit der Anzahl Fälle gegeben hat,..».  Die Zunahme der Rechnungen entspricht der Anzahl Verordnungen.

Weiter kann dank Physiotherapie in gewissen Fällen eine Operation umgangen werden. Diese Erkenntnis ist in jüngster Vergangenheit durch die medizinische Entwicklung gewonnen worden. Hier am Beispiel der Ruptur des vorderen Kreuzbandes und den dazu ausgesprochenen Empfehlungen des Swiss Medical Boards:

http://www.medical-board.ch/fileadmin/docs/public/mb/medienmitteilungen/10-01-2014_d_mm_review_kreuzband.pdf

Taxpunktwerterhöhung – Kostensteigerung

Der Physiotherapietarif in der heutigen Form wurde mit dem KVG 1996 eingeführt. Die dazugehörenden TPW (Taxpunktwerte) – also die Abgeltung – wurden während 18 Jahren, bis 2014 nie angepasst (resp. mit einem Teil der Krankenversicherer sogar erst 2016) 2014, bzw. 2016 wurde dann der Tarif um 8,51% erhöht. Die PhysiotherapeutInnen mussten von 1996 – 2013 ohne jegliche Anpassung des Tarifs bei steigenden eigenen Kosten und  steigenden Anforderungen an Ausbildung und Qualität auskommen! Die milde Anpassung 2015, bzw. 2016  führt wohl zu einer Erhöhung der Kosten, ist aber in der notwendigen Gesamtbetrachtung nach wie vor unterdurchschnittlich.

Demographie – mehr Physiotherapie

Die demographische Entwicklung ist unbestritten. Auch für die Physiotherapie gilt, dass die PatientInnen im Durchschnitt immer älter und damit einhergehend auch polymorbider werden, was den Behandlungsbedarf, sowie den Aufwand im Einzelfall deutlich erhöht.

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Systemumstellung in der Abrechnung – nur statistisch eine Kostensteigerung

Aufgrund der fehlenden Einigung auf eine Anpassung der Abgeltung, wurden zwischen Juli 2011 bis März 2014 die physiotherapeutischen Leistungen direkt gegenüber den PatientInnen im sogenannten Tiers-garant abgerechnet. Es gibt Aussagen von Krankenversicherern, dass im Tiers-garant 15 – 30% der Rechnungen gar nie bis zum Krankenversicherer gelangen. Übersteigt nämlich die erhaltene Rechnung den Selbstbehalt und Franchise des Versicherten nicht, gibt er die Rechnung oft nicht zur Rückerstattung an seinen Krankenversicherer weiter. Erfolgt aber keine Abrechnung beim Krankenversicherer, fliessen die entsprechenden Kosten nicht in die Statistik ein.

Mit der Einigung auf die TPW-Erhöhung im 2014 mit tarifsuisse (rund 60% der Versicherten vertretende Krankenversicherer), wurde wieder auf Tiers-payant (Rechnungstellung gegenüber dem Krankenversicherer) umgestellt. Seit dann werden wieder alle Physiotherapierechnungen über die Krankenversicherer abgewickelt und fliessen in die Statistik ein. Folglich dürfte dies ein weiterer Grund für die statistische Ausnahme-Entwicklung der Physiotherapie-Kosten 2014ff (2016 dieselbe Erhöhung für Krankenversicherer, mit schweizweitem Markanteil von ca. 40%) sein.

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