Das Problem mit dem Geschlecht.

 

Meine Nichte Johanna* hat uns vor kurzem berichtet, sie fühle sich mehr Mann als Frau und habe jetzt ihren Namen in Johannes* geändert. Meine Schwägerin teilte uns geleichzeitig mit, es freue ihr, dass sie jetzt unverhofft doch noch einen Sohn bekommen hätte. Sie nimmt alles einfach so wie es ist und macht nicht viel Aufhebens davon.  (* Name geändert um die Privatsphäre zu gewährleisten).                

 Es gibt in der Geschichte viele Beispiele wo das Geschlecht eine Rolle spielt. So wurde angeblich im Jahre 853 ein gewisser Johannes zum Papst gewählt als Nachfolger von Papst Leo IV (17. Juli 853). Im Jahre 855 gebahr er/sie auf offener Strasse ein Kind und wurde gesteinigt. Er war eine sie. Sie wurde bekannt als Päpstin Johanna, deren Existenz von der katholischen Kirche seitdem vehement geleugnet wird.  Der Todestag von Papst Leo IV., Johannas Vorgänger, wurde der Einfachheit halber um zwei Jahre nach hinten verlegt, damit die Lücke zum nächsten Papst (Papst Benedikt III. ) nicht auffiel. (Quelle: Donna W Cross: «Die Päpstin» 2009). 2009 wurde die «Mann/Frau»-Frage wieder aktualisiert und zwar im Sport (wo denn sonst). Eine südafrikanische 800m-Läuferin, Castor Semenya, wurde mit grossem Abstand Weltmeisterin in Berlin und hatte mehr Muskeln als Arnold Schwarzenegger in dem Alter. Er leidet an Hyperandrogenämie. Hyperandrogenämie stellt eine erhöhte Androgenproduktion sowohl beim Mann als auch bei der Frau dar. Sie zählt somit zu den hormonellen Störungen und Frauen entwickeln dadurch Muskeln wie ein Mann. Zuerst hat man versucht, durch medikamentöse Massnahmen den Testeronwert künstlich zu senken, aber dass hat der internationale Gerichtshof inzwischen gestoppt. Castor Semenya (und auch die Läuferinnen Francine Niyonsaba aus Burundi und Margaret Wambui aus Kenia) kann ja schliesslich nichts dafür, dass sie so ist wie sie ist, obwohl man anfangs gemeint hat, ein neuer Leichtathletikverantwortlicher, Dr. Arbeit, der schon zu DDR-Zeiten hinter einem Dopingprogramm (u.a. bei Heidi Krieger) gestanden ist, habe ein wenig extra nachgeholfen. Als die Rolle von Dr Arbeit zu DDR-zeiten in der Öffentlichkeit kam, hat sich der südafrikanische Verband direkt von ihm getrennt.

Aber es gibt auch andere Fälle. Hier unten die Geschichten von Erika Schinegger (später Erik)  und Dora (später Heinrich)  Ratjen, Tamara und Irina Press und der/die Nordkoreaner(in) Sin Kim Dan. Zuletzt dann die Geschichte von /Bruce/Caitlin Jenner.

Erika Schinegger (Skifahrerin aus Österreich)

Einer der größten Erfolge Erika Schineggers war der Weltmeistertitel im Abfahrtslauf der Frauen bei der Alpinen Skiweltmeisterschaft 1966 in Portillo. Beim Goldschlüsselrennen in Schruns erreichte Schinegger am 18. Januar 1967 den zweiten Platz und am 28. Januar 1967 folgte in Saint-Gervais der einzige Sieg in einem Weltcuprennen, einem Riesenslalom. Im Februar 1967 gewann Schinegger die österreichischen Meisterschaften im Riesenslalom.

Vor den Olympischen Spielen 1968 in Grenoble wurde bei einem medizinischen Test festgestellt, dass Schinegger genetisch männlich ist. Erika Schinegger, derer Geschlecht aufgrund nach innen gewachsener Geschlechtsteile, eines sogenannten Pseudohermaphroditismus, jahrelang nicht richtig identifiziert worden war, entschied sich zu einer Operation und der Änderung seines Vornamens von Erika in Erik. Der Weltmeistertitel von 1966 wurde ihm nachträglich nicht aberkannt, aber die damals Zweite (Marielle Goitschel) bekam rückwirkend ebenso die Goldmedaille. Schinegger selbst überreichte seine WM-Goldmedaille einige Jahre später Marielle Goitschel.

Erik Schinegger heiratete und wurde Vater einer Tochter. Er lebt als Inhaber einer Kinderskischule und zweier Gasthöfe in seinem Heimatort Agsdorf in Kärnten.

Wusste Erik Schinegger nicht, dass er eigentlich ein Mann war, wusste Dora Ratjen und das Naziregime das sehr wohl. Aber er wurde gebraucht als Mittel um die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann (1914-2017!) an Teilnahme an die Olympischen Spiele in Berlin zu hindern. Gretel Bergmann wohnte schon in den Vereinigten Staaten, wohin sie geflohen war,  und wollte eigentlich nicht teilnehmen an den Spielen. Unter Druck der Amerikaner, die verlangten, dass auch jüdische Sportler startberechtigt sein sollten, nominierten die Nazis sie für die OS. Obwohl sie eigentlich nicht wollte, ging sie dann doch nach Deutschland zur Vorbereitung, da sonst ihre Eltern in Gefahr wären.  Aber ihr wurden viele Steine in den Weg gelegt (u.a. schlechte Trainingsanlage, die zudem 2 Stunden von ihrem Wohnort lag)  und obwohl sie in der Vorbereitung fast den Weltrekord verbesserte, wurde sie auf Grund «mangelnder Form» nicht ins Team gewählt. Dafür startete Dora Ratjen, die dann allerdings nur 4. wurde. Einige Jahre später entdeckte eine Konkurrentin, dass Dora eigentlich ein Mann war und ab dann ging Dora weiter als Heinz Ratlen (1918-2008). Gretel kehrte nach Amerika zurück und verbesserte einige Wochen nach den OS den Weltrekord. Ab 1942 war sie dann Amerikanerin.

Etwas weniger bekannt ist die Geschichte von Sin Kim Dan. Sin Kim Dan aus Nordkorea  lief 1964 Weltrekorde über 400 und 800 Meter. Ihr in Südkorea lebender Vater bekundete, die vermeintliche Läuferin sei sein in den Wirren des Korea-Krieges verlorengegangener Sohn!

Aus Russland (woher sonst) dann der nächste Fall. Die Russin Irina Press verbesserte die Weltrekorde im Fünfkampf und Im 80 -Meter-Hürdenlauf. Ihre zwei Zentner schwere Schwester Tamara stellte mehrfach neue Weltbestleistungen Im Kugelstoßen und Diskuswerfen auf. Unter Leichtathleten hießen Tamara und Irina stets die Press-Brüder. Ebenso gerieten die russische Weitsprung-Olympiadritte Tatjana Tschelkanowa und die sowjetische 400-Meter-Europameisterin Maria Itkina in den Verdacht, in Wahrheit männlichen Geschlechts zu sein. Russische Leichtathleten berichteten westlichen Sportlern, daß ihre allen Konkurrentinnen überlegenen Meisterinnen sich regelmäßig rasierten und niemals zusammen mit Ihren unverdächtigen Sportkolleginnen duschten.

Immer wieder hatten sich nach außergewöhnlichen Leistungen im Frauensport Zweifel erhoben und bestätigt. So war 1934 in London die Tschechin Koubková in Weltrekordzeit 800-Meter-Weltmeisterin geworden. Später wurde sie operiert und galt fortan als Mann. Und so lief Sin Kim Dan aus Nordkorea 1964 Weltrekorde über 400 und 800 Meter. Ihr in Südkorea lebender Vater bekundete, die vermeintliche Läuferin sei sein in den Wirren des Korea-Krieges verlorengegangener Sohn.

Um den Leichtathletinnen gleiche Chancen zu sichern, verlangte der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) seit 1958 von allen Teilnehmerinnen an internationalen Meisterschaften ärztliche Atteste. Doch niemand kontrollierte die ärztlichen Kontrolleure aus den Heimatländern der Sportlerinnen.

"Wir wollten das Problem lösen", erläuterte der deutsche Leichtathletik -Präsident Dr. med. Max Danz, "ohne daß diese bedauernswerten Geschöpfe sich bloßstellen mussten." Auf seinen Antrag beschloß der Leichtathletik-Weltverband im Jahre 1964, künftig alle Wettkämpferinnen von einer neutralen Ärztekommission untersuchen zu lassen.

Für den 1965 erstmals ausgetragenen Europa-Pokal der Nationalmeisterschaften wurde noch einmal auf die Geschlechtskontrolle verzichtet. Westdeutsche Funktionäre befürchteten, daß die favorisierte russische Mannschaft den Endkampf in Kassel deshalb boykottieren könnte und der neu eingeführte Wettbewerb so mit einem Skandal belastet würde. Die Russinnen gewannen den Pokal, Tamara Press stellte einen neuen Weltrekord im Kugelstoßen auf.

Doch 1966 in Budapest mußten alle Sportlerinnen vor ihrem Start bei der Europameisterschaft unbekleidet vor drei Ärztinnen - zwei davon Gynäkologinnen - antreten. Zum erstenmal mußten sich die weiblichen Teilnehmer in diesem Jahr einer speziellen Untersuchung stellen. Zweck: Es sollte festgestellt werden, ob sie tatsächlich dem weiblichen Geschlecht angehörten. Die Press-Schwestern, Weitspringerin Tschelkanowa und Läuferin Itkina konnten allerdings nicht untersucht werden - sie hatten auf die Reise nach Budapest verzichtet. In fünf von elf Einzelwettbewerben traten  in Budapest Favoritinnen nicht an, die seit Jahren keine Konkurrentinnen zu fürchten hatten.

Bei der letzten Geschichte geht es mal andersrum. Im Jahre gewann Bruce Jenner eine Goldmedaille im Zehnkampf. Später wurde er bekannt als der Stiefvater von Kim Kardashian.  Es war seine dritte Ehe und diese wurde bekannt durch die Reality-soap-Serie «Keeping Up with the Kardashians». Ab dem 25. September 2015 ist Bruce eine sie und heisst offiziell Caitlin Jenner. Die Geschlechtsumwandlung wurde und wird  in einer achtteiligen Fernsehserie «I am Cait» dokumentiert.

 

 

 

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