Letzten Montag, den 29.10.2018. Ort AZ in Fislisbach. Beteiligten: Cor Madou, Physiotherapeut, und Frau Hecht*, Bewohnerin im AZ, 100% rollstuhlabhängig nach diversen Stürzen und schlechtheilenden Verletzungen an u.a. beiden Füssen. Zeit: 13.30 Uhr.
"Grüezi Herr Schärer, wie geht es Ihnen? Schön, dass Sie kommen konnten." Frau Hecht begrüsst mich jeden Montagnachmittag auf ungefähr gleiche Weise. Das Problem? Ich bin nicht Herr Schärer. Aber sie ist nicht davon abzubringen, mich so zu nennen. Jedes Mal sage ich ihr, dass ich Herr Madou bin. Sie schaut mich dann aus ihrem Rollstuhl kurz an und sagt dann so etwas wie: "Ah ja? Aber schön, dass sie doch noch kommen konnten Herr Schärer". Ohne auf die beharrliche Namensgebung ein zu gehen, sage ich ihr dann, dass ich gekommen bin um mir ihr Physiotherapie zu machen. "A wah? Machen sie das? Das ist aber schön he?" um dann ohne Pause, die Stimmlage einen Oktav höher angesetzt, fort zu fahren mit: "Ist heute Sonntag?" Ich sage ihr dann, dass heute Montag ist. "Ich komme jeden Montag zu Ihnen um mit Ihnen etwas Therapie zu machen." "Jeden Montag? A wah. Das ist doch wunderbar……..dass Sie das machet". Wonach sie einige Minuten still vor sich hin starrt, während ich ihre Arme durchbewege. Dann fährt sie auf einmal mit ihrem Monolog fort:" Früher kam einer auch immer wieder einmal in der Woche zu mir." "Ich denke", so sage ich ihr, da sie weiterhin nichts mehr zu dem Thema sagt, "Ich denke, dass war ich. Ich komme jeden Montag zu Ihnen….um Therapie zu machen". "A wah? Machen sie das? Schön he, dass sie das machet und zu mir kömmet."
Frau Hecht verbleibt dann einige Zeit in sich gekehrt, reagiert aber auf meine Aufforderung, die Bewegungen mit dem Arm aktiv mitzumachen und zwar fünf Mal. Heute, nachdem ich sie darum gebeten habe, zählt sie sogar selbst mit.
Ab und zu kann es passieren, dass sie anfängt weinen. Es sei schon lange niemand mehr gekommen und sie sitze schon den ganzen Tag da alleine. Ob sie dann nicht gegessen habe, frage ich sie. "Doch ………………aber nicht viel". Was sie so gegessen habe, frage ich sie weiter, während ich ihre Knie mit mässigem Erfolg versuche zu strecken (bei einem Winkel von 45 ° ist Schluss). "Ja……es gab so allerhand." Frau Hecht erläutert nicht weiter was das allerhand ist, bejaht all meinen Mutmassungen (Späzli? Ja. Salat? Ja, au. Suppe? Kürbiskern? Ja. Dessert? Ja.)
Dann kommt eine Pflegehilfe herein. Sie wird Frau Hecht versorgen, auf die Toilette bringen und nach unten in den ‘Spieleraum’. "Auf Wiedersehen Herr Schärer. Schön, dass Sie kommen konnten. Kommen Sie gut nach Zürich". Das war mein Stichwort. Ich verabschiede mich in der Gewissheit, dass Herr Schärer in Zürich wohnt……oder doch nur arbeitet? Leicht verwirrt verlasse ich das Zimmer...…. bis nächsten Montag um etwa die gleiche Zeit.
*Name geändert.
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