Die Sache mit der Physiotelepathie.

 

 

Lange hat es gedauert, bis irgendeine Instanz sich das Leid der Physiotherapeuten angenommen hat. Na ja. Angenommen ist ein zu grosses Wort. Das BAG (Bundesamt für Gesundheit (Dies für die niederländische LeserInnen unter uns) hat selbst etwas zusammengebastelt. Telephysiotherapie heisst das oder offiziell ``Leistungen, die auf räumliche Distanz erbracht werden können. ``

So schreibt das BAG: ``Leistungen der Physiotherapie, die auf räumliche Distanz erbracht werden können, beschränken sich auf Massnahmen der Beratung und Instruktion nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b KLV nach vorgängiger Erstkonsultation oder Behandlung in der Praxis

Diese Massnahmen können auf räumliche Distanz erbracht werden, wenn die Patientinnen und Patienten Symptome einer Atemwegsinfektion aufweisen, der Gruppe der besonders gefährdeten Personen nach Artikel 10b Absatz 2 COVID-19-Verordnung 2 angehören oder die Reise/Transport unter Einhaltung der notwendigen Hygienemassnahmen nicht gewährleistet ist.

 

Die Leistungen auf räumliche Distanz werden nur vergütet, wenn sie per Videokonferenz durchgeführt werden. Bei Kindern muss eine Bezugsperson beim Patienten sein, die auf Anleitung des Physiotherapeuten manuell tätig werden kann.  Eine physiotherapeutische Videokonferenz kann mit der Tarifposition 7340 "Sitzungspauschale für Medizinische Trainingstherapie MTT" abgerechnet werden (22 Taxpunkte). ``

Erstens, liebes BAG, gilt diese Tarifposition  für die von den Krankenkassen vergütete Leistungen (ihr habt uns falsch informiert, aber ist das so wichtig?) und entspricht, je nach Kanton 20,90 Schweizer Franken (Uri), über 22,10 Schweizer Franken im Aargau (wo ich wohne) bis 23,98 Schweizer Franken im Kanton Zürich, denn, liebe Leute aus einem anderen Land als der Schweiz, hier in der Schweiz ist alles, aber auch wirklich alles,  von Kanton zu Kanton verschieden. Ja sogar von Gemeinde zu Gemeinde. Die Unfallversicherer und Militär- und Invalidenversicherung, liebes BAG, vergüten  aber nach Position 7301 (48 Taxpunkte), was bedeutet, dass zwischen Sfr 45,60 resp Sfr 50,40 bis Sfr 52,32 vergütet wird. U.a. Ärzte und Psychiater können pro 5 Minuten 12 bis 18 Taxpunkte deklarieren und zwar bis zu 8 x, was einer Sitzungsvergütung von weit über Sfr 100 entspricht.

Liebes Bundesamt für Gesundheit. Eure Regelung ist kaum praktikabel und diskriminierend. Ich weiss nicht wie es meinen Kollegen so geht, aber wenn ich meine Patienten durchgehe, die für dringende  Therapie in Frage kämen, dann habe ich einige Z.B. eine 92-Jährige, die ihre Schulter ausgekugelt hat mit einer Nervläsion des Nervus Axillaris und Radialis, welche ich aktiv (geführt-aktiv, also ich muss anlangen) behandeln muss,   eine 73-jährige Parkînsonpatientin, die Übungen unter Supervision machen muss am Rollator, weil sie extrem sturzgefährdet ist,   ein 85-jähriger Patient mit Herzklappeninsuffizienz, Status nach CVA (rechts Hemi), der Lympfdrainage und  aktive Übungen unter Supervision bekommt, eine 86-jährige nur italienisch sprechende Patientin mit  neurologischen Problemen (sturzgefährdet, also unter Supervision behandelt werden sollte) und ein Lymphoedem im rechten Unterschenkel.

Jetzt stellt euch mal vor, was geschieht, wenn ich diese Patienten telephysiotherapeutisch per Videoschaltung behandeln müsste.

Die erste Patientin mit der ausgekugelten Schulter kann ihren rechten Arm kaum bewegen, hat keine Ahnung von Computern und ich müsste ihr Aufgaben erteilen mit meinen   nicht existenten telepathische  und ihren Arm unterstützend bewegen mit meinen nicht existenten telekinetischen Gaben.

Die zweite hat das gleiche Problem mit Computern. Sie bedient den Fernseher und das Telefon, sonst nichts. Sie sitzt eigentlich nur, wenn niemand da ist und streichelt die Katze. Sie im Auge zu behalten und Therapie aufgaben erteilen, ist unmöglich. Ausser vielleicht aufstehen und absitzen lassen.

Und wie will ich Lymphdrainage machen beim dritten Patienten?  Er kann eine E-Mail schreiben, aber Videoschaltungen sind für ihn Sachen aus einer anderen Welt.

Damit kommen wir zu meiner italienischen Patientin. Auch sie kennt keinen Computer. Vielleicht könnte ihre Tochter assistieren, aber die kann keine manuelle Lymphdrainage machen, die wichtigste Anwendung für die Patientin.

Übungen instruieren wäre vielleicht möglich per Telefon, aber das ist nicht erlaubt, oder eigentlich schon erlaubt, aber das wird nicht bezahlt.

Nur Manuel, ein Patient, der in der Schweiz arbeitet und krankassenversichert ist, aber in Rheinheim (D) wohnt, könnte ich mit Videoschaltung behandeln. Er hat das ``Knowhow``. Er könnte auch in die Therapie kommen, kommt aber nicht über die Grenze. Aber ihm  habe ich per Mail ein Übungsprogramm geschickt, und er gibt mir regelmässig (wöchentlich) Rückmeldungen. Alles ohne Vergütungen, weil Mail und Telefon als Hilfsmittel nicht erlaubt sind.

 

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