Die Sache mit dem ‘’ich weiss nicht, was das ist’’-Arm

Wenn meine 94-jährige Patientin Rosa zur Therapie kommt, entsteht immer das gleiche Gespräch: ‘’ Wie geht es Ihnen heute? ’’ ‘’Danke, es geht so. Ich bin ein wenig müde in letzter Zeit. ’’ ‘’Und sonst?’’ ‘’ Ich weiss nicht was es ist, Herr Madou, aber beim Suppenessen habe ich so wenig Kraft in meinem Unterarm und Hand, dass der Löffel mir aus der Hand fällt. ’’ Da Rosa nicht grade unterernährt aussieht, kann ich dann nicht nachlassen zu fragen: ‘’ Fällt der Löffel vor der ‘’Löffel im Mund’’-Phase aus Ihrer (wir haben noch nicht das ‘’du’’-Stadium erreicht) Hand oder danach. ’’ Da Frau Rosa diesen Satz schon kennt, reagiert sie erst gar nicht und fährt fort: ‘’ Aber was ist das mit meinem Arm’’.

Da ich früher mal den Lehrer gespielt habe, musste ich dann natürlich einen Vortrag halten über Armverletzungen, die durch wiederholte, langanhaltende Aktivitäten entstehen: ’’Also, Frau Rosa. Die Schmerzen im Unterarm treten sehr oft auf an der radialen Seite des Unterarms. Im Mittelalter hatten manche Mönche, die den ganzen langen Tag Bücher abschrieben, solche Schmerzen, dass sie schreibunfähig wurden. Heutzutage würden die dann bestimmt IV bekommen. Oder, wenn sie alt genug werden würden, AHV. Damals gab es so etwas nicht. Faktisch stand das frühe Mittelalter dem Alter gegenüber allerdings weitgehend gleichgültig gegenüber, da höchstens 2-3% der Menschen 60-jährig und älter waren. Mit der Ausdifferenzierung (Differenzierung = Betonung der Unterschiede; Auseinanderentwicklung (Quelle: Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1968)) der mittelalterlichen Gesellschaft ab dem 11. Jahrhundert (Städtegründungen, Feudalgesellschaft) diversifizierten (‘’diversifizieren = ausweiten’’) sich Stellung und Ansehen alter Leute verstärkt nach Stand, Besitz und Wohnort. In dieser Zeit entstanden auch erste Wohltätigkeitseinrichtungen (Armenhäuser, HospizeSpitäler), die arbeitsunfähige Betagte versorgten. Also vielleicht auch unsere schreibbehinderten Mönche. ’’

‘’Herr Madou, Sie schweifen ab! ’’

 

‘’ Öh ja, stimmt. Entschuldigung.  Also heute würde man so einen Arm Tennisarm nennen…’’. ‘’Herr Madou, ich spiele nicht Tennis! ’’  ‘’…, oder Mausarm…….’’. ‘’ Herr Madou, ich spiele auch nicht Katz und Maus. ’’ ‘’…, oder, wenn die Schmerzen an der ulnären Seite auftreten, einen Golferarm. Auch bekannt unter dem Namen ‘’Epikondylitis Humeri medialis’’. ‘’Aber ich bekomme die Schmerzen immer, wenn ich meine Wäsche glete (glete: Schwyzerdeutsch für bügeln). Dann kann ich das Gleteisen (hochdeutsch: Bügeleisen) nicht mehr festhalten beim Anheben. ’’ ‘’ Ist ein gleteisen nicht etwas für die Haare?’’ ‘’In der Schwyz nöd. So heisst bei uns ein Bügeleisen’’. ‘’ Ein Dampfbügeleisen? ’’  sag ich schnell, bevor das Gespräch in  eine uferlose, typisch schwyzerische, und  zu nichts führende Diskussion ausartet. ‘’ Ja, genau. Wie konnten Sie das wissen? ’’ ‘’ Weil das Dampfwasser Ihr Gleteisen nämlich viel schwerer macht als ein modernes, Nachkriegszeitbügeleisen. Die Geschichte des Bügeleisens reicht nämlich weit bis ins 15. Jahrhundert zurück. Waren die Menschen in früheren Zeiten nicht unbedingt in…’’ ‘’HERR MADOU, wen interessierts. Meine Frage ist: Was fehlt mir nun. ’’ ‘’Sie leiden an dem weltweit verbreiteten, klassischen, noch nicht wissenschaftlich  erforschten, aber demnächst vielleicht in einem wissenschaftlichen Artikel thematisierten, Bügeleisenarm. Oder, wie man es in der Schweiz nennt: Gleteisenarm.  Nichts um das Sie sich Sorgen machen müssen. Kaufen Sie sich einfach in Zukunft bügelfreie Wäsche. ’’

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